Fortsetzungsroman von Silke S. Bischoff
Kapitel sechs
Dieter war überrascht, wie befreit er sich fühlte. Er saß, nur mit einem Bademantel bekleidet, auf dem Bett in seinem Hotelzimmer. Den Fernseher nahm er gar nicht mehr wahr. Dieter starrte an die Wand. Das Hotel war sehr geschmackvoll eingerichtet. Die Wände waren mit einer hellbraunen Tapete verziert, auf der kleine Bäume zu erkennen waren.
Dieter betrachtete jedes einzelne Detail. Vom Fernseher her trafen ihn ab und zu Wortfetzen. Das alles interessierte ihn nicht. Gerade vorher hatte er lange Zeit in der Badewanne verbracht. Es war das erste Mal seit vielen Jahren, dass er sich so hat gehen lassen. Ein gutes Gefühl.
Er stieg aus der Wanne und kümmerte sich nicht um das Wasser, das er im Bad verteilte. Margot hätte ihm mal wieder den Einlauf seines Lebens verpasst. Dieter fühlte, wie gereizt er beim Gedanken an sie war. Er wollte ihr nichts Böses. Er zwang sich, nicht an sie zu denken. Doch wie sollte er sich von ihr lösen? So viele Jahre verbrachten sie zusammen. So viel Glück haben sie geteilt. Und so viel Leid hatte er erfahren.
Nein, er musste zulassen, dass er wütend war. Dass er eine Wut verspürte, die ihn schon viel zu lange gefangen hielt. Eine Wut, die er immer unterdrückt hatte. Aus Liebe zu seinen Kindern, aus Liebe zu Margot – aber wo blieb er?
Dieter schrie. Er schrie, so laut er konnte. Er warf die Pflanzen im Bad zu Boden. Er schlug auf den Spiegel ein, bis dieser von der Wand fiel und zerbarst. Er warf das Regal um, es fiel seitwärts gegen die Toilette und zerstörte den Klodeckel. Ein gutes Gefühl. Dieter warf alles, was er im Bad fand, in die Badewanne und fühlte sich gut dabei.
Nun saß er auf dem Bett und starrte die Wände an. Dieter überlegte, was er nun machen könnte. Er hätte natürlich zur Arbeit gemusst, aber das war ihm egal. Nicht mal im Büro angerufen hatte er.
Sein Handy klingelte, als er gerade beschlossen hatte, sich eine Hose anzuziehen. Er wollte das Gespräch nicht annehmen.
Jakob saß mit seiner Mutter auf dem Revier und weinte. Margot sah ihn streng an. Aber er schaute nicht auf. Er weinte nur.
Eine Tür ging auf und ein junger Beamter betrat das Wartezimmer. Er sah sehr gut aus, sehr attraktiv. Margot konnte gar nicht anders, als von seinen Augen fasziniert zu sein.
»So, junger Mann. Nun sag schon, wo ist der iPod?« Jakob antwortete nicht. »Jakob, wir wissen, dass du ihn geklaut hast. Bitte, mach‘ es nicht noch schlimmer, als es ohnehin schon ist.«
Margot sah, wie dem Polizisten langsam die Geduld ausging. »Jakob«, sagte sie leise zu ihm. »Komm schon, nun gib es doch schon zu.« Jakob weinte nun lauter. »Es gibt ein Video von einer Überwachungskamera. Da bist du zu sehen, Jakob. Man sieht, wie du den iPod entwendest.« Der Polizist klang nun strenger. »Man sieht, wie du das Ding unter deine Jacke steckst und wie du dann schnell hinausgehst! Was möchtest du denn nun noch verheimlichen?«
Dann war Stille. Der junge Mann und Margot tauschten ihre Blicke aus. Margot seufzte. »Jakob, als ob nicht schon alles schlimm genug wäre…« Tränen liefen ihr nun ins Gesicht. »Als hätten wir nicht genug Problem…« Margot war kaum zu verstehen, so sehr weinte sie nun. Jakob war hilflos. Er wusste, dass es seiner Mutter schlecht ging. Und nun hatte er alles noch schlimmer gemacht. Wie konnte ich nur so dumm sein? Er holte ein Taschentuch aus seiner Hose und reichte es seiner Mutter. Margot aber lehnte es ab. »Nur Schwierigkeiten, nur Probleme, nur so ein Mist…« Der Polizist begriff, worum es eigentlich ging. »Frau Gering, bitte kommen sie mit mir. Jakob, wir sprechen uns morgen nochmal. Ich komme zu dir. Geh‘ nun nach Hause.«
Kapitel sieben von »Wie Nadeln im Sturm« lesen Sie in der nächsten Ausgabe.
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